Bern ist schön am Morgen. Auch wenn man im schnellen Schritt Richtung Monbijoubrücke hechelt, getrieben von der erneuten Angst vom Bus versetzt zu werden. Denn der erste Bus hat mich nicht mitgenommen. Als ich aus dem Tram ausstieg und umsteigen wollte, fuhr der Bus gerade ab. Verletzt, als hätte ich am ersten Date einen Korb bekommen, lief ich also los. Ich, der Nichtpendler und notorische Autofahrer, war also mit einer neuen Situation konfrontiert. Frei nach dem Motto, wenn du etwas richtiggemacht haben willst, musst du es schon selber machen, habe ich mich dazu entschlossen, den Arbeitsweg mit meinen eigenen Füssen fortzusetzen, anstatt auf den nächsten Bus zu warten.
Dieser holte mich aber nach der Monbijoubrücke ein, sodass ich mich entschloss, doch den einfacheren Transport mittels Bus fortzusetzen. Dieser Bus, verhasst von einigen wohl eher links grünen nicht Auto fahrenden Bewohnern des Weissenbühlquartiers, fuhr mich anschliessend dennoch an meinen Zielort, sodass ich 20 Minuten später dennoch meine Arbeit aufnehmen konnte.
Sie denken jetzt bestimmt, „wow 20 Minuten ist doch nichts“. Stimmt, aber wenn man sich normalerweise gewöhnt ist mit dem Auto zu Arbeit zu fahren und dazu eigentlich nur 20 Minuten braucht, sieht das ganze schon ein wenig anders aus. Oder, wenn man weiss, dass ich mit der Fahrt von Tram und Bus inkl. Weg bis zur nächsten Haltestelle für einen Weg welchen ich mit dem Auto in 20 Minuten zurücklege, 50 Minuten brauche, und heute sogar noch 20 Minuten mehr, also eine Stunde und 10 Minuten, klingt es nochmals ein wenig anders. Ich habe also heute mit dem ÖV 350% länger gebraucht um zur Arbeit zu kommen. Für mich als Bünzli Schweizer, der sich die besten Standarts gewohnt ist, eine bittere und schlimme Erfahrung. Ja, ein wenig Sarkasmus ist dabei, denn das muss so. Die Gedanken im Kopf dem Transportunternehmen eine böse E-Mail zu schreiben oder blindlinks eine Haltestelle mit der Aufschrift «Nichtskönner» zu verwüsten, fing ich an zu schreiben. Die gute alte Schrift, eine der besten Erfindungen der Menschheit, brachte mich wieder auf den Boden der Tatsachen und liess meine Gedanken ordnen. Und so fing mein Kopf wieder an zu denken.
Dieses Beispiel erinnert mich an eine Situation, welche ich beim Autofahren in der Stadt vor einer roten Ampel hatte. Obwohl links und rechts kein anderes Auto zu sehen war, stand ich gut 15 Sekunden einfach ganz allein auf der Kreuzung, weil ich Rot hatte. Es war morgens vor 6 Uhr. 15 Sekunden sind nichts, aber in diesem Moment kamen mir die 15 Sekunden wie 15 Minuten vor. Und genau während dieser unendlich langen Zeit kam mir ein passender Vergleich. Die Regeln im öffentlichen Verkehr, nein, der öffentliche Verkehr mit all seinen Teilnehmern, ist wie der Staat mit all seinen Bürgern. Ja, der Vergleich ist zutreffend. Naheliegend schon deswegen, weil ein Teil des öffentlichen Verkehrs ja der Bürger ist, also die Kunden des ÖV und die Kunden auf der Strasse mit ihren Autos oder Velos und die Fussgänger zusammen. Der Staat hat Bürger, die dem Staat Kunde sind, oder zumindest sein sollten, denn auch Ihnen wird durch ihr eigenes Geld ein gewisser Service angeboten. Die meisten Strassen oder Schienen werden ja durch Steuergelder bezahlt, also durch Gelder der Bürger.
Den Gedankengang, den ich in diesen 15 Sekunden hatte, fing damit an, dass ich mir nicht erklären konnte, warum die Ampel vor mir, obwohl nirgends auch nur annähernd ein Auto stand, auf Rot wechselte. Ich wurde also ausgebremst, ohne einen mir ersichtlichen Grund. Ich fragte mich warum ich ausgebremst wurde, was gab es für eine schlüssige Lösung dafür? Warum bloss? Ein Wink des Schicksals? Wohl eher ein unglücklicher Zufall, der Ampelrhythmus war wohl gerade ungünstig. Sieht denn die Ampel nicht wie ich, dass ich der einzige bin, der hier auf dieser Kreuzung steht? Warum kann ich nicht selbst entscheiden, ob ich weiterfahren will oder nicht? Es wäre viel günstiger für alle, wenn bei wenig Verkehr der Verkehrsteilnehmer selbst sich mit anderen Teilnehmern absprechen kann, wer wann fährt, bzw. rein durch Vortrittsregelungen geregelt ist, wer zuerst fahren darf und wer zu warten hat. So ganz ohne Ampeln, so ganz ohne Staat eben.
Ja, so ganz ohne Staat. Dieses Beispiel zeigte mir auf, warum der Staat nicht immer gut ist. Mehr Regeln führen vielleicht zu mehr Sicherheit, aber sie führen auch zu einem langsameren Fluss der Gesellschaft. Logisch, wenn die Ampel auf Rot steht, wie sollte man da noch fahren oder fliessen können. Und selbst wenn man sich über das Gesetz hinwegsetzt und die Ampel bei Rot überfährt, hat man eine Busse bzw. hat man eine Strafe begangen, wobei man sich in dieser Situation fragen kann, ob diese angemessen sei, denn auf der Strasse ist weit und breit niemand zu sehen. Würde man ein Rotlicht bei einer vielbefahrenen Kreuzung überfahren, gefährdet man Dritte, dort wäre eine Strafe sicher angemessener. Und wer schreibt solche Gesetzte, der Staat.
Ein Staat hat Regeln, ein Staat kann und darf von diesen Regeln nicht abweichen, seien sie auch nur so lächerlich oder unlogisch. Regeln werden uns vom Staat aufgezwungen, man darf nicht entscheiden, ob man damit einverstanden ist oder nicht. So auch auf der Strasse, man darf nicht selbst entscheiden wie schnell man fahren will. Manch einer denkt sicher, gut so, denn sonst würden alle 100Kmh innerorts fahren. Nun ja, alle sicher nicht, aber einige schon, und darum möchte ich auch nicht sagen, dass der Staat in all seinen Taten schlecht ist, nur, dass er eben wie es Staaten so an sich haben, monopolistisch und unflexibel ist. Man fährt schlechter mit dem Staat als ohne. Ohne Staat kann man selbst entscheiden wo man hinfahren möchte, man hätte selbst die volle Kontrolle über sein Leben. Und auch dem Klischee von „in Angst leben“ und „das Gesetz des Stärkeren regiert“ ist schnell beiseite geschaffen. Erstens wollen die meisten Menschen gar Niemandem etwas zu leide tun und Zweitens ist man ohne Staat völlig frei Verträge abzuschliessen. Wenn sich also eine Kommune oder ein Quartier für eine dreissiger Zone bei sich einsetzen möchte, dann darf man diese durchsetzen. Oder wenn man Angst hat um sein Hab und Gut, kann man selbst Sicherheitskräfte anstellen, welche das Eigentum bewachen. Man kann sich zusammentun um die Kosten zu reduzieren. Es ist alles möglich, denn es geht ja auch mit dem Staat. Und rechnen sie nur nach, es wäre billiger als die Dinge über Steuern zu finanzieren. Zudem wäre es übersichtlicher, effektiver und schlussendlich sogar sozialer. Ja, sozialer. Der Trugschluss hier ist nur, dass alle denken, dass die Armen von den Reichen abhängig sind und deshalb der Staat die Reichen zu zwingen hat, einen Teil des Vermögens den Armen zu geben. Aber nein, lasst jeden selbst entscheiden, wem er helfen möchte und wem nicht. Wenn ein Reicher niemandem helfen möchte und alles Geld für sich und sein Wohlergeben einsetzen will, dann soll er das tun. Er wird aber merken, dass es viele Menschen gibt, welche sein Verhalten dreist und egoistisch finden und ihn dafür hassen werden oder zumindest in ihm kein Vorbild sehen. Geschäftspartner sich von ihm abwenden, denn auch auf sie steigt der Druck. Also wäre er bestimmt über weite Strecken alleine mit seinem Lebensstil. Denn die meisten Leute wollen ja auch akzeptiert werden. Man wäre von der Gesellschaft selbst „gezwungen“ Gutes zu tun, damit das Ansehen steigt. Denn wen haben wir lieber? Mutter Theresa oder Prinz Markus von Anhalt? Na? Verstehen sie?
Von diesem Thema fasziniert bemerke ich kaum, dass die Ampel auf Grün gewechselt hat. Endlich. Ich kann weiterfahren. Weiter zu meinem Job, mit dem ich einen Teil zum herrschenden System beitrage. Dem System mit dem Staat und mit dem Zwang. Das System mit dem Hamsterrad. Ich überlege mir, ob ich meine Steuern bezahlt habe. Ja, habe ich, leider, oder zum Glück? Der Ausblick auf Bern ist wunderschön, es ist niemand unterwegs, nur die Lichter der Stadt sind zu sehen. Und ich weiss, es muss sich etwas ändern. Ich stelle die Freiheit an oberste Stelle, sage mir; „Ich bin gegen Zwang“. Wer etwas verändern will, der muss zuerst seine Ampel auf Grün schalten.