In diesen Tagen fand in Davos das Welt-Wirtschafts-Forum WEF statt, an dem sich Politiker und Wirtschaftsleute, NGOs und Prominente aus aller Welt trafen. Anfang dieser Woche, am 18.01.2016, fand aber auch ein anderes Treffen statt, nicht in Davos, sondern in Vevey, am Hauptsitz von Nestlé. Es ist die jährliche Rive-Reine Tagung, welche jeweils von Montagabend bis Dienstag dauert und an der sich die führenden Wirtschaftsvertreter der Schweiz aus Politik und Gesellschaft zum Plaudern und verweilen treffen. So wird es gerne von Nestlé, dem Organisator dieser Tagung, welche es seit Jahrzenten gibt, dargelegt. Doch ist das Treffen nur ein unbedeutendes kleines Privattreffen unter Freunden, oder verbirgt sich hintern den Mauern des Grosskonzerns eine Strategie? Ein Schelm wer Böses denkt.
Videoberichterstattung zur Tagung
Wenn sich die Crème de la Crème der Schweizer Politik mit führenden Wirtschaftsvertretern und Medien hinter für die Öffentlichkeit verschlossenen Türen treffen und wenn dabei einzig das Thema der Debatte der Öffentlichkeit Preis gegeben wird, kann man sich vieles Ausmalen. Haben wir es hier mit einer vierten Macht neben National-, Ständerat- und Bundesrat zu tun, wie es der Enthüllungsjournalist Viktor Parma einst sagte? Haben wir es hier mit dem Schweizer Geheimrat zu tun? Oder Treffen sich hier nur Gleichgesinnte zu einem jährlichen Kaffeekränzchen? Wer letzteres denkt, sieht die Tragweite solcher Tagungen nicht. Wieso würden sich der Bundespräsident, welcher am gleichen Tag noch in Dübendorf war und Verwaltungsräte, die einen so eng gestrickten Terminkalender haben, sich ihre kostbare Zeit für ein Beisammensein mit Freunden und Fremden nehmen?
Wenn Nestlé ruft, kommen sie alle
We are Change war dieses Jahr am Montag, 18. Januar 2016 in Vevey vor Ort und versuchte von den Teilnehmern ein Statement zu bekommen. Tatsächlich eröffnete uns Silvio Borner, seines Zeichen Wirtschaftswissenschaftler und Dozent der Universität Basel und nebenbei liberaler Kolumnist der Weltwoche, einige noch nie dagewesene Einblicke in die Tagung. Trotzdem, dass wir und auch er nicht bemerkten, dass es für beide Parteien in deutscher Sprache besser gewesen wäre zu kommunizieren, erläuterte er uns ein wenig den Ablauf der Konferenz. Er halte einen Vortrag und zwar den Zweiten. Es ginge um das Wachstum der Schweiz, die Probleme und die Chancen. Danach gebe es eine Diskussionsrunde darüber. Tatsächlich gibt Nestlé jedes Jahr das Thema der Tagung Preis. Dieses Jahr ist es „Wachstum? Zu welchem Preis“. Der Vortrag von Borner passt also.
Nebst Borner konnten wir ebenfalls Andreas Koopmann, Verwaltungsrat von Nestlé interviewen. Dieser gab sich aber nicht so Kontaktfreudig wie Borner und antwortete schlicht, dass er Verwaltungsrat von Nestlé sei und deshalb an der Tagung teilnehme, das war alles. Gewieft unseren Fragen aus dem Weg zu gehen, verabschiedete er sich freundlich mit einem Lächeln und stieg in den Shuttelbus von Nestlé ein.
Erstaunt über die Medienpräsenz am veveyer Bahnhof gab sich aber Isabelle Moret. Die Nationalrätin der FDP aus dem Kanton Waadt war sichtlich überrascht, als wir sie um ein kurzes Interview baten. Sie war gerade am Telefon über ihre Kopfhörer und teilte uns dies auch mit. Wir warteten also, doch nach zirka 20 Sekunden raste sie wie vom Blitz getroffen Richtung Shuttelbus, als dieser den Motor anliess. Sie hatte uns wohl vergessen. Die weiteren, mit dem Zug angereisten Teilnehmer, haben wir zwar allesamt vor die Linse bekommen, dennoch sind wir uns unschlüssig wer sie sind. Einer davon könnte Beat Kappeler sein, Redaktor bei der NZZ. Er gab und in forschem Zürideutsch die Antwort, dass er zu keiner Stellungnahme bereit sei. Ein anderer antwortete auf die Frage, warum man sich hier im Geheimen treffe, schlicht, dass es kein Geheimtreffen sein, man treffe sich einfach. Genau, im Privaten, mit Bundesräten und Volksvertretern, jedes Jahr, ohne Mitteilung an die Presse. Das ist bestimmt kein „Geheimtreffen“. Urteilen sie selbst.
Wer nahm weiter teil?
Über die Jahre hinweg wurde bekannt, wer gerne an dieser Tagung teilnimmt. Eine Einladung erhalten viele, doch nicht alle leisten ihr Folge. Eine Liste der Teilnehmer ist geheim und wird nicht publiziert. Aus diesem Grund versuchten wir in diesem Jahr die Teilnehmer festzuhalten. Nach einigen Recherchen können wir folgende Teilnehmer der Rive Reine Tagung 2016 bestätigen.
– Silvio Borner, Wirtschaftswissenschaftler, Universität Basel
– Andreas Koopmann, Verwaltungsratsmitglied Nestlé
– Isabelle Moret, Nationalrätin, FDP Waadt
– André Kudelski, Nagra Kudelski Group, Bilderberg Steering Commitee
– André Blattmann, Chef der Armee
– Thomas Jordan, Nationalbankpräsident
– Walter Kielholz, Verwaltungsratsmitglied Swiss Re
– Didier Burkhalter, Aussenminister, Bundesrat der FDP
– Heinz Karrer, Präsident Economiesuisse
– Johann Schneider-Ammann, Bundespräsident, Bundesrat der FDP
– Filippo Lombardi, Präsident der CVP Franktion und Nationalrat
– Beat Kappeler, NZZ Redaktor (mit Vorbehalt)
Man beachte, dass beide FDP Bundesräte anwesend waren. Für Johann Schneider-Amman ist es nicht die erste Konferenz, er nahm bereits 2011 teil (siehe unten). Erstaunlich war dieses Jahr, dass keine grösseren SVP Vertreter anwesend waren, jedenfalls konnten wir keine identifizieren. Die SVP ist mit ihren Parteipräsidenten und hohen Tieren sonst Dauergast der Konferenzen. So waren Toni Brunner, wie auch Magdalena Martullo-Blocher 2012 dabei. Doch nicht alle in der SVP finden dies gut, Ende 2011 reichte Oskar Freysinger eine Interpellation im Parlament ein, welche die Teilnahme von Bundesräten an der Tagung hinterfragte. „Es steht den Mitgliedern des Bundesrates frei, allfälligen Einladungen Folge zu leisten. So nahmen in den vergangenen Jahren verschiedentlich Mitglieder des Bundesrates die Gelegenheit für eine Teilnahme wahr. Dieses Jahr (anm. 2011) wohnte Bundesrat Schneider-Ammann einem Teil der Veranstaltung bei.“
Weiter führt der Bundesrat aus „Es ist dem Bundesrat ein grosses Anliegen, dass er mit den verschiedenen gesellschaftlichen, politischen und wirtschaftlichen Kreisen der Schweiz Kontakte pflegen kann. Dazu gehören auch Treffen mit Spitzenvertreterinnen und Spitzenvertretern der Schweizer Wirtschaft. Diese Kontakte finden bei ganz unterschiedlichen Anlässen statt. Dabei ist es wichtig und im Landesinteresse, dass gewisse Gespräche in einem vertraulichen Rahmen stattfinden können, wie dies an der Rive-Reine-Tagung der Fall ist. Gerade der in diesem Umfeld mögliche direkte persönliche Gedanken- und Informationsaustausch macht die Tagung für den Bundesrat wertvoll.“ Oliver Classen von der Erklärung von Bern verfolgte das Treffen bereits 2010. Zu 20min.ch gab er zu Wort: „Hier wird hinter verschlossenen Türen die wirtschaftspolitische Agenda der Schweiz gesetzt und die Politik von der Wirtschaft nach Rive-Reine zitiert. Die multinationalen Unternehmen der Schweiz lobbyieren gegen Regulierungen und echte Konsequenzen aus der Finanzkrise.“
Persönliche Meinung
Sie lobbyieren nicht nur gegen Regulierungen, sondern auch für Regulierungen. Stellen Sie sich vor, sie haben ein Produkt, das sie verkaufen wollen. Wenn der Markt dafür nicht so vorhanden ist, wie sie es sich wünschen, schauen sie entweder, dass sie das Produkt anpassen, oder, was schwieriger ist, dass sich der Markt anpasst bzw. sie suchen sich einen neuen Markt. Wenn sie also das Produkt nicht anpassen, könnten sie sich ja jemanden suchen, der den Markt anpasst, wenn sie keinen neuen Markt finden. Und wer erlässt Gesetzte und Verordnungen um Märkte zu beeinflussen? Die Politik. Die Energiewende lässt grüssen. Wenn Finanz- und Wirtschaftsgrössen der Schweiz mit Politik und Volksvertretern im Geheimen an einen Tisch zusammenkommen, haben alle die nicht dabei sind die schlechteren Karten. Diese Art von Korporatismus ist verwerflich. Nichts gegen private Treffen, doch wenn private Treffen plötzlich Einfluss auf unser aller Leben hat, dann schon. Es gilt hier zu unterscheiden. Liberale Gedanken und Wettbewerb haben unsere Wirtschaft erst auf dieses hohe Niveau gebracht. Die Schweiz ist in vielen Bereichen Spitzenreiter. Doch könnten wir noch mehr erreichen, gebe es solche Abmachungen zwischen Gesetzgeber und einigen wenigen, einflussreichen Personen nicht. Das ist das eigentliche Problem. Einige wenige Wirtschaftsmogule nehmen sich das Recht, den Markt durch die Politik nach ihren Belieben zu beeinflussen und zu formen. Das ist inakzeptabel. Es geht hier um die Sicherung der Interessen und die Vorherrschaft von einigen wenigen Grosskonzernen auf dem Markt. Alternativen würden sich sofort ergeben, wären da nicht unsere Barrierenschieber aus Bern. Rive Reine Tagungen gehören aufgedeckt, Teilnehmer gehören angefragt und konfrontiert, damit Licht ins Dunkle solcher Geheimtagungen kommt.