Thomas | Ich habe heute im Radio erfahren, dass ein weiteres Asylzentrum in der Schweiz aufgemacht wird. Diesmal eines in meiner Nachbargemeinde Aeschi im Berner Oberland in der Schweiz. Durch die Medien, allen voran dem „hassschürenden“ Blick, weiss ich von der Zwiespältigkeit dieser Zentren. Sozialschmarotzer, Prügelknaben, schlicht Fremde, die wollen wir nicht bei uns. Unsere Kuscheljustiz wird von ihnen völlig ausgenutzt. Und wer bezahlt das alles am Schluss? Der Schweizer Steuerzahler! Das ist kurz zusammengefasst die schlussendliche Botschaft. Doch es gibt andere Meinungen. Den Leuten muss geholfen werden, sie fliehen vor Folter und Krieg, vor Zuständen welche wir uns nicht einmal in unseren kühnsten Träumen vorstellen können. Wir sind es ihnen schuldig. Mit unserer verschwenderischen Art und der Rücksichtslosigkeit gegenüber Drittweltländern ist es unsere Pflicht, ihnen ein besseres Leben zu ermöglichen. Ja was jetzt nun?
Ich habe keine Ahnung was ein Asylsuchender eigentlich ist. Ich gehe davon aus, dass jeder Mensch, welcher in die Schweiz als Asylsuchender kommt, eine eigene Geschichte hat. Wieso kommen Sie in die Schweiz? Wie kommen sie hierher? Wollten sie überhaupt hierher? Was erwarten sie von ihrem neuen Leben? Wollen sie wieder zurück? Wer betreut sie? Wie werden sie betreut? Wie reagiert die betroffene Gemeinde? Einige Fragen kann ich mit diesem Teil bereits beantworten. In einem weiteren Teil werde ich euch über die Erfahrungen und Gespräche in einem Druchlaufzentrum, einem Asylzentrum, berichten. Um die anderen Fragen zu klären begebe ich mich also an die Informationsveranstaltung der Gemeinde Aeschi. Ich erwarte hitzige Diskussionen von Alteingesessenen, Landesverteidigern, dass gegen das überforderte Gemeindepersonal und die Vertreter der Asylsuchenden schiesst. Ich bin gespannt ob sich meine Ansicht bestätigt oder nicht. Insgeheim erhoffe ich mir das Gegenteil, denn meine Meinung ist von den Mainstreammedien geformt und was ich in den letzten Jahren gelehrt habe, ist, dass diese Meinung meistens nicht die Realität wiederspiegelt.
Vom Herbstbraun geprägter Sprengstoff liegt in der Luft
Es ist Montagabend in Aeschi, kurz vor acht Uhr. Die Gemeinde lädt zur Informationsveranstaltung im Gemeindehaus ein. Es fällt mir schwer einen Parkplatz zu finden. Nachdem ich auf den Schulhausparkplatz ausweichen musste, weht mir ein lauer Herbstwind entgegen. Aeschi scheint belebt. Von überall strömen die Menschen in den Gemeindesaal. Ich merke schnell, das Thema bewegt und staune auch nicht schlecht, als ich gut 15 Minuten vor Beginn der Veranstaltung den Raum betrete. Die ganze Gemeinde scheint da zu sein.
Ich blicke in die Gesichter der Leute, die Minen sind ernst. Das Thema hat durchaus Sprengstoffpotential. In der ersten Reihe sitzen Grossräte, Medien, Polizei und weitere Gemeindeleute. Die Veranstaltung wird eröffnet. „Wir können hier keine Asylpolitik betreiben“, ertönt es in klaren Worten zu Beginn. Die Veranstalter erwarten ein aufgebrachtes Publikum, das wird schnell klar. Sie setzen sich aus der Gemeindepräsidentin, dem Vorstand des Blaukreuzheimes, des Heimes wo das neue Asylzentrum zu Stande kommt, dem Regierungstatthalter, dem Migrationsdienst und der Betreiberfirma ORS Services AG zusammen. Die letzten beiden scheinen schlechtere Karten zu haben, denn sie sind nicht von hier. Ihre Aussagen und ihr Auftreten entspannen die Lage nicht gerade.
Das Asylzentrum in Aeschiried wird in den Räumen des Blaukreuzheimes installiert. Dieses Heim hatte in den letzten Jahren finanzielle Schwierigkeiten und darum wurde nach einer Lösung gesucht. Man gelangte an den Kanton. Es kam ein Mietvertrag zu Stande, welcher bis Ende März 2016 unkündbar läuft. Der Kanton zahlt monatlich Fr. 18’000.00 exkl. Nebenkosten an das Heim. Das Heim hat die Gemeinde nicht über das Vorhaben informiert. Die Information wurde über den Kanton an die Gemeinde Aeschi weitergegeben. Die Bevölkerung hatte nie die Möglichkeit, selbst über das Zentrum zu entscheiden. Sie wurde so zu sagen vor vollendete Tatsachen gestellt. Das schien sie aber nicht sonderlich zu stören, nicht zuletzt da die Gemeindepräsidentin einen angesehenen Status in der Gemeinde hat und durch ihre indirekte Wegweisung der Schuld sich auf die Seite der Bürger stellte. Der Fehler liege beim Blaukreuzheim, welches halt finanzielle Not bekundet. So der Tenor zwischen den Rängen.
Die Gemeinde hat sich gut vorbereitet. Es wurde eine Begleitgruppe ins Leben gerufen, welche aus Personen aus der Bevölkerung besteht. Diese Gruppe gilt als Ansprechperson für die Bevölkerung und sitzt wiederum regelmässig mit dem Runden Tisch zusammen, welcher sich wiederum aus Personen aus Gemeinde, Kanton und Betreuerfirma zusammensetzt. So sollen Reibungen möglichst klein gehalten werden und Lösungen schnell umgesetzt werden können. Die Fragen aus dem Publikum beschränken sich fast ausschliesslich auf das Thema Sicherheit.
Solidarität konnte ich zuerst wenig feststellen, doch sie ist doch noch vorhanden. So sprach ein Bürger darüber, dass man sich doch im Klaren sein sollte, aus welchen schlimmen Verhältnissen diese Leute kommen. Diese Kriegsflüchtlinge aus Syrien. Er erhielt einen grösseren warmen Applaus des Publikums. Auch die kurze Rede eines im Publikum sitzenden Grossrates erhielt einen warmen Applaus. Geben wir dem Projekt eine Change und zeigen, dass es gehen kann, lautete seine Devise. Am Schluss des Abends stellte man eine Zwiespältigkeit im Publikum fest. Einige stehen dem Projekt offen entgegen, sie beteiligen sich aktiv für einen reibungslosen Ablauf, andere bekundeten indirekt Mühe damit.
Man bat darum Arbeit für die Flüchtlinge zu finden. Nebst kleinen Reinigungsarbeiten im Heim habe man darum keine weiteren Arbeiten. Ein Beschäftigungsprogramm wurde von vielen Seiten her gewünscht. Die Betreiberfirma hat bis jetzt noch keine konkreten Arbeiten für die Flüchtlinge. Sozialarbeiten für die Gemeinde werden in Aussicht gestellt. Auch appelliert man an die Bevölkerung, wenn jemand auf seinem Werkhof oder dergleichen Arbeiter brauche, solle man sich doch melden. Die Flüchtlinge möchten bestimmt arbeiten bzw. eine Beschäftigung haben um sich zum Tagessold von Fr. 9.50 etwas dazu zu verdienen. So stehlen sie sicher auch weniger, klingt es aus einem Teil des Saales. Ein Anderer beharrt darauf, dass die Flüchtlinge auch ihr Geld in der Gemeinde ausgeben sollen um die lokale Wirtschaft anzukurbeln.
Ich wollte nach der Veranstaltung einige Stimmen vom Publikum hören. Mir fiel eine Person auf, die abweisend auf die Thematik während der Veranstaltung reagierte. Ich fragte sie wie sie sich verhalten würde, wenn sie eben jetzt Flüchtlinge auf der Strasse antreffen sollte. „Ich würde sie ignorieren, ich will nichts mit ihnen zu tun haben“. Ich fragte genauer. „Wenn diese Person dann nach dem Weg fragen würde, was würdest du tun?“ „Wenn sie mich anspricht und das fragt, würde ich den Weg erklären“. Im Generellen sei sie aber froh, wenn die Flüchtlinge dann auch wieder gingen. Ein anderer sieht der ganzen Sache gelassener entgegen. „Ja die sind jetzt halt da, damit muss man leben“, lautete sein Tenor. Er würde sogar Hilfe bei der Integrierung anbieten, „solange sie sich normal benehmen“. Vor dem Gemeindehaus erkundigte ich mich weiter nach Meinungen. „Nach so einer emotionsgeladenden Debatte gebe ich keine Auskünfte mehr, einen schönen Abend“ erklärte mir eine ältere Dame. Ich blieb bei der Gruppe und fragte weiter in die Menge. „Wie reagieren Sie auf Asylsuchende?“, „mit purem Hass!“ erwiderte mir einer Person in einem sehr aggressiven Ton. Ich konnte die Aussage nicht verstehen und bohrte weiter. „Haben sie gelesen was die im Wallis getan haben?! Vergewaltigt haben die ein sechzehnjähriges Mädchen, bei denen sind Frauen nichts!“ „Ja das war doch nur ein Einzelfall“ entgegnete ich. Die Person stimmte mir zu. Nach längerer Diskussion stellte ich trotz zuerst rassistischen Äusserungen fest, dass diese Person einfach von der Pauschalität der Ausländerpropagandaartikel falsch informiert wurde. Eine Angehörige stand daneben und versuchte zu schlichten. Doch auch sie habe Angst, wenn sie alleine auf dem Nachhauseweg sei und von Asylanten mit „Hey, hast du mir deine Nummer“ angesprochen wird. Zudem da sie meistens in Gruppen anzutreffen sind.
Ich begebe mich nach Hause, regen setzt ein. Der Abend war sehr spannend, ich konnte mir ein Bild der Lage machen. Leider hat sich meine Vorahnung bestätigt. Die Menschen haben Vorurteile gegenüber Fremden. Sie schätzen sie als integrationsunwilig, kulturfremd und schädlich ein. Kann sein, zumal sicher nicht alle in die Schweiz reisen wollten. Aus der Veranstaltung ging hervor, dass viele, vor allem Syrer, nach Schweden wollen, es aber wegen dem Dublin Abkommen nicht können bzw. dürfen. Schweden habe genug Platz, sie würden alle aufnehmen. Kulturfremd ist ebenfalls verständlich, ich müsste zwar mutmassen, wie viele Leute in diesem Saal schon eine total andere Kultur gesehen haben, aber es wären bestimmt nicht die Mehrheit. Vor Neuem hat der Mensch halt Angst, das ist nichts Frisches. Schädlich sind Flüchtlinge nicht, sie werden in den Medien nur gerne schädlich dargestellt. Klar gibt es Ausnahmen, aber sie sind bestimmt nicht die Regel. Ich denke Aeschi wird mit der Situation leben können. Wir sind schliesslich alles Menschen.
Nach neusten Meldungen der Lokalpresse regt sich grösserer Widerstand gegen das Zentrum, lesen sie dazu mehr hier.
Persönliche Meinung
Neues ist immer anders. Für Menschen, welche nicht jeden Tag neue Sachen kennen lernen umso mehr. Der Mensch ist ein Gewohnheitstier. Neue Sachen lehnt seine Art am Anfang meistens ab.
Die Flüchtlinge, die bei uns ankommen, sind auch nur Menschen wie du und ich. Sie haben eine andere Art zu leben. Warum sehen viele Leute das als Bedrohung? Als Junge habe ich von meinen Eltern gelernt zu lernen, neues zu lernen. „Geh zu Schule, dann wirst du schlauer!“ Lerne neues! Jeden Tag! Warum sollte ich bei der Chance eine neue Kultur oder andere Menschen kennen zu lernen abblocken? Ich habe ja auch nicht abgeblockt als wir den Buchstaben „N“ in der ersten Klasse durchnahmen. Oder auch nicht dann, als Bruchrechnen oder Englisch auf dem Stundenplan standen. Ich habe es gelernt, es hat mein Wissen erweitert und ich kann jetzt mehr machen als damals, als ich noch nicht wusste was die Wurzel aus 16 ist oder was „Breakfeast“ hiess. Deswegen rede ich aber noch lange nicht andauernd Englisch, ich spreche weiterhin Schweizerdeutsch, meine Muttersprache (also eigentlich Berndeutsch). Und zum Rechnen nehme ich meistens den Taschenrechner (ja ich bin faul). Wenn ich also auf Flüchtlinge, auf Menschen, zugehe und von ihnen ihre Sicht auf die Welt, ihre Geschichte oder ihre Art Dinge zu tun lernen oder wissen möchte, heisst das ja noch lange nicht, dass ich dann auch so agiere. Warum dann dieses generelle Misstrauen? Da haben die Medien einiges gutzumachen wegen ihrer Angstpropaganda. Für alle, die es nicht wussten, es gibt auch böse Schweizer. Viele davon sitzen zwar in der Regierung, aber das ist ein anderes Thema.
Ich habe die Behörden angefragt, ob ich mit den Flüchtlingen sprechen kann, ob ich sehen kann wie sie leben und wie der Tagesablauf aussieht. Natürlich werde ich euch das nicht vorenthalten. Darum ein zweiter Teil. Bis dahin möchte ich euch eines auf den Weg geben. Neue Sachen können schlecht sein, aber man findet es nur heraus, wenn man neue Sachen ausprobiert. Das ist die Natur des Menschen. Ich geh dann mal weiter.