Da ich direkt von der Arbeit zum vereinbarten Treffpunkt ging, war ich nicht ganz pünktlich vor Ort. Ich erspähte jedoch sofort den ersten Schriftzug auf der Strasse: 9/11 INSIDE JOB! und einen Steinwurf vom Treffpunkt entfernt sah ich auch schon Leute mit Kreide, welche auf dem Boden knieten. Ich begrüsste einen Künstler, der gerade mit einer Botschaft fertig wurde und der mich auch auf diese Aktion aufmerksam gemacht hat. Alle, immerhin 10 Teilnehmer zu begrüssen, war zu diesem Zeitpunkt schlecht möglich, da alle fleissig und an verschiedenen Orten mit geteertem Boden beschäftigt waren.
Mir wurde ein Stück Kreide gesponsert und dann war das Churer Polizeigesetz noch kurz ein Thema, da es in der Bündner Hauptstadt viele ganz originelle Zusatzeinnahmen seitens der Stadtpolizei gibt. Unter dem tollen Begriff „Littering“ kann unser Freund und Helfer problemlos einen Raucher büssen, der einen Zigarettenstummel auf den Boden fallen lässt. Jedoch „nur“ mit 50 Fr. damit die Zahlung der Busse nicht ganz so prägend ist und man in Zukunft nicht tatsächlich konsequent den Filter einer Zigarette korrekt entsorgt. Auch wird das Mitführen von angebrochenen alkoholischen Getränken z.B. im Rucksack als Konsum gewertet, was nach Mitternacht im öffentlichen Territorium der gesamten Stadt verboten ist. Man sollte sich in Chur auch davor hüten nach 24:00 Uhr einen ehrlich erworbenen Imbiss auf der Strasse zu konsumieren, da das auch gegen geltendes Recht verstösst. Unser Trüppchen jedoch war ausnahmslos gesetzeskonform unterwegs, man will den vielleicht auftauchenden Beamten ja keine unnötige Angriffsfläche bieten.
Wir waren gerade in einer Fussgängerzone beschäftigt, als wir das erste und einzige Mal als Spinner oder Freaks von einer Gruppe Jugendlicher betitelt wurden. Erschreckenderweise wäre es tatsächlich möglich, dass zumindest die Eltern von jemandem aus dieser Gruppe einen Koran besitzen, da ihr Akzent und ihr Aussehen an Balkan/naher Osten erinnerte. Eher unmotivierend, wenn die ersten Inputs darauf hinweisen, dass man auch als Moslem hierzulande die Islam=Terrorismus Propaganda ohne weiteres schluckt. Die Gruppe verschwand so schnell wie sie aufgetaucht war und nach diesem Erlebnis hatten wir es nur noch mit interessierten Passanten zu tun, die von sich aus wissen wollten, was das Spektakel soll und die nach kurzen Gesprächen vielleicht sogar dazu animiert wurden Begriffe wie „WTC 7“ oder „False Flag“ zu googeln.
Ich hatte zu keinem Zeitpunkt das Gefühl, dass wir bedrohlich oder auf andere Weise negativ auf vorbeigehende Personen wirkten, da sich Fussgänger mit uns unterhielten oder wenigstens stehen blieben um das Geschriebene in aller Ruhe auf der Strasse zu lesen. Meine Eindrücke waren wohl falsch, da plötzlich ein Auto auf uns zufuhr und direkt vor uns an einer Stelle parkierte, an welcher sogar Fahrverbot herrscht. Wieso die zivilen Herren, welche aus dem Auto stiegen zu keinem Zeitpunkt eine Geldstrafe wegen Falschparken fürchten mussten, schien uns ganz logisch als die beiden Herren sich als Fahnder zu erkennen gaben. Etwa 100 Meter konnten wir mit Infos beschriften und schon interessiert sich die Fahndung für uns. Wir sollten uns dann ausweisen, woraufhin wir den selben Wunsch den Elite Polizisten gegenüber äusserten. Personenkontrolle war dann plötzlich kein Thema mehr, aber ein durchaus freundlicher Fahnder wollte wissen, was wir hier genau machen. In diesem Moment kam auch schon Verstärkung in Form der uniformierten Polizei inklusive einem grossen Fahrzeug in dem unser Grüppchen wohl bequem Platz gefunden hätte und auch das grosse und beschriftete Vehikel suchte nicht nach der idealen Parkmöglichkeit. Wir erklärten kurz, wieso Erwachsene Leute sich mit Strassenkreide beschäftigen und stellten fest, dass der sympathische Fahnder wohl über einen Breitband Internetanschluss verfügt, da er vor seinem Kollegen und der anwesenden Polizei wichtige Fakten betreffend 9/11 aufzählen konnte und sich auch absolut sicher ist, dass damals 3 Türme gesprengt wurden. Einer von uns also. Trotzdem war ihm unsere Kamerafrau unangenehm, die kurz vorher mit Aufnahmen begann und er gab zu verstehen, dass er lieber nicht gefilmt werden möchte. Da sich niemand von uns darüber schlau gemacht hat, wie es den aussieht, wenn man einen bekennenden Fahnder filmt, der wohl nicht gern anhand von Filmmaterial unfreiwillig geoutet wird, war dann auch Drehschluss. Unser Lieblingsfahnder meinte dann ganz nett und irgendwie nicht so als ob er persönlich den Event beenden möchte, wir sollen jetzt damit aufhören, dann hätte die Kreideaktion keine Konsequenzen für uns. Andernfalls kann man wegen dem leisesten Verdacht für 24h den nächstgelegenen Polizeiposten geniessen. Ein gutes Beispiel, wie man durch Auffüllen eines virtuellen Kontos am Ende jedes Monats Menschen freiwillig dazu bringt, fragwürdige Anweisungen weiterzugeben, um nicht plötzlich den Status arbeitslos zu erhalten . Wir erkundeten uns noch, ob wir als besorgte und möglichst rechtschaffende Bürger in Zukunft den Notruf tätigen sollen, falls wir Schüler mit Strassenkreide beobachten. Daraufhin lachten die Fahnder nur und verabschiedeten sich freundlich mit Händeschütteln von uns und auch die Polizei hatte endlich besseres zu tun und fuhr fort. Nachdem wir uns sicher waren, dass wir nicht doch noch beobachtet werden, legte sich einer von uns auf die Strasse um dann mit Kreide seine Siluette auf den Boden zu übertragen, wie das üblich ist bei Opfer. Das war unser symbolisches „Opfer wegen freier Meinungsäusserung“
Dann fanden wir es angebracht, die restliche Kreide an einem anderen Ort aufzubrauchen und wir einigten uns auf einen Fussweg, der momentan zu einem grossen und gut besuchten Festzelt führt, ausserhalb der Stadt.
Kaum angefangen war auch schon meine Freundin anwesend, welche mit ihren Freundinnen im Festzelt war und da ich leider gegenüber Manipulationen ihrerseits nicht immun bin, fuhr ich wenig später, wie verlangt, mit ihr nach Hause.
Zu Hause angekommen, interessierte mich, was denn genau die Aufgabe der Fahndung ist. Laut eigenen Angaben im Internet :
Bei der Fahndung Chur beschäftigen sich «Polizei-Allrounder» mit der Aufklärung von Straftaten im Grossraum der Stadt Chur. Sie suchen nach Straftätern und Vermissten, klären Diebstähle und Einbrüche auf und kontrollieren die Drogenszene in der Stadt und ihrer Umgebung.
Also genau die richtige Einheit der Kantonspolizei wenn es um Truther geht. Interessant ist auch, dass die Drogenszene nicht überwacht wird von der Fahndung sondern kontrolliert. Schlecht formulierter Satz oder sind die einfach ganz ehrlich?
In die regionalen Medien haben wir es nicht geschafft mit dem Kreide-Event, aber immerhin hat die Südostschweiz (Zeitung) am 12. September eine ganz neue 9/11 Version veröffentlicht. Ob damit der Schriftzug „2 Flugzeuge 3 Türme“ diskreditiert werden sollte? (siehe Bild)
Auch wenn wir nur 100 Meter Innenstadt bekritzeln konnten und die meisten Infos auf der Strasse bis spätestens am folgenden Nachmittag weggereinigt waren, war es eine interessante Erfahrung und wir haben alle eine wertvolle Erkenntnis fürs nächste Mal: es braucht jede Menge Kreide um ein bisschen Wahrheit auf die Strasse zu schreiben. Hoffen wir auf noch mehr Städte und Teilnehmer für das nächste Jahr, sofern Strassenkreide bis dahin nicht illegal ist.