Im Interview mit dem Tagi nimmt der aktuelle Armeechef, André Blattmann, Stellung zur Zukunft der Schweizer Armee. Auch die Gefahrenlage wird dabei kommentiert:
«Es sind durchaus Situationen vorstellbar, in denen die Armee unsere Infrastruktur schützen muss. Auch grosse Migrationsströme könnten einen Einsatz nötig machen. Denken Sie nur an die wirtschaftliche Situation in Griechenland: Plötzlich steht in einem EU-Land der Staat vor dem Bankrott!»
Handelt es sich bei dieser Argumentation um eine Schutzbehauptung um die Daseinsberechtigung der Armee zu sichern oder wie plausibel ist dieses Szenario?
Die Ausrichtung ist jedenfalls nicht neu, und wurde 2009 in der grossangelegten Übung «Protector» deutlich.
«Das Szenario sieht vor, dass Teile von Europa instabil sind und es auch in der Schweiz zu Unruhen ethnischer Gruppierungen, zu Anschlägen und zu Gewalttaten kommt. Im Auftrag und in Zusammenarbeit mit den zivilen Behörden soll die Truppe die Lage stabilisieren, die Bevölkerung schützen und die Handlungsfreiheit der Behörden wahren.» 8000 Soldaten proben Raumsicherung, news.ch
Die Sicherheitsexperten der EU haben im 2009 einen Bericht mit dem Titel «What Ambitions for European Defence 2020» (PDF) veröffentlicht, indem die Herausforderungen an die Sicherheitspolitik der EU Mitgliedstaaten formuliert werden. Auch wenn man sich einig ist das die weltpolitische Lage durchaus stabil ist und die Gefahr von Konflikten im Sinn einer direkten militärischen Konfrontation in den nächsten 10 Jahren eher klein ist, wird auch hier die Gefahr von Unruhen bzw. von Flüchtlingsströmen als zentrale Herausforderung genannt.
Als mögliche Ursachen werden genannt:
– Wirtschaftliche Instabilität
– Naturkatastrophen, Epidemien, Hungersnöte
– Energieproblematik und Ressourcenknappheit
«.. zivile Konflikte, gewaltsame Destabilisierung in Gegenden welche die EU in Bezug auf Flüchtlingsströme betreffen, Unterbrechungen im Versorgungsnachschub, die Förderung von Terrorismus oder Ausbreitung von Massenvernichtungswaffen benötigen einen stetig besser werdende militärische Kapazität. Dies soll nicht suggerieren das sich die EU sich auf grössere zwischenstaatliche militärische Konflikte einstellen soll. Dies bleibt im 21. Jahrhundert ein sehr unwahrscheinlicher Ausblick. Keine der globalen Grossmächte – inklusive Russland – kann einen Nutzen aus einem Machtkampf mit der EU (oder einer anderen Grossmacht) ziehen. Die strukturelle Abhängigkeit einer zunehemd globalisierten Welt, zusammen mit der tödlichen Kraft des modernen Kriegsarsenals sind Anzeichen dafür das grössere Konflikte dieser Art erheblich zurückgehen.»
«What Ambitions for European Defence 2020», Seite 44
«Andererseits wird die Zukunft überflutet sein von einer «neuen Art von Krieg»: Asymmetrische Kriegsführung und regionale Konflikte in kleinerem Rahmen von verschiedener Art – Aufstände, Bürgerkriege, Piraterie, Kriminalität und Terrorismus.»
«What Ambitions for European Defence 2020», Seite 44
Zudem macht auch das zunehmende Ungleichgewicht zwischen Arm und Reich ein Gefahrenpotential aus.
«Die Industriestaaten sind zunehmend integriert in einer friedlichen und wohlhabenden Gemeinschaft, wo die Vorzüge der Zusammenarbeit und Integration diejenigen von gewaltsamen Konflikt übertreffen. Dies ist aber gänzlich abhängig vom funktionieren der Weltwirtschaft. Wenn diese zusammenbricht würde wahrscheinlich auch die politische Ordnung in diesen Ländern zusammenbrechen.»
«What Ambitions for European Defence 2020», Seite 64
«Die Abschirmung der wohlhabenden Bevölkerung von den Spannungen und Problemen der Armen. Das Verhältnis zwischen der Weltbevölkerung die in Armut und Frustration lebt wird riesig bleiben. Die Spannungen und der Überlauf wird stetig zunehmen. Da wir diese Problem bis 2020 wahrscheinlich nicht an ihren Wurzeln gelöst haben werden – z.B. durch die Behebung der Missstände in diesen Gesellschaften – werden wir unsere Grenzen verstärken müssen. Dies ist eine moralisch verwerfliche Strategie, wird aber nicht verhinderbar sein wenn wir die Probleme nicht an der Wurzel beheben können.»
«What Ambitions for European Defence 2020», Seite 65
Es wird sich zeigen ob es der EU gelingt die angestrebten Ziele zu erreichen und eine effektive multinationale Sicherheits- und Katastropheneinsatztruppe auf die Beine zu stellen. Jedenfalls zeichnet der Bericht ein anderes Bild der Gefahrenlage als jenes welches uns durch die Massenmedien vermittelt wird. Männer mit Turban die der westlichen Welt per Videobotschaft den Krieg erklären scheinen die Sicherheitsexperten nicht allzu grosse Sorgen zu bereiten. Eine Eskalation im mittleren Osten wird zwar als Szenario in Betracht gezogen, der Fokus liegt aber klar bei den asymmetrischen Bedrohungen durch Katastrophen und innere Unruhen oder Massenimmigration.
Die Gefahr einer Massenimmigration aus der dritten Welt wird im Film «Lets Make Money» auf eindrücklicke Weise sichtbar. Angesprochen auf die Dumpingpreise von Baumwolle auf dem Weltmarkt durch die Subventionierung durch die USA und die daraus entstehende Notlage für die Bauern in Burkina Faso sagt ein Baumwollhändler:
«Jeder Burkinabe der Heute geboren wird hat bereits hohe Schulden. Selbst der, der erst in 25 Jahren geboren wird. Wenn wir keine Baumwolle anbauen dann wird jeder Afrikaner aus Burkina Faso – aber auch aus Mali, Benin und anderen Ländern – nach Europa auswandern. Wir werden bei euch einfallen. Wenn der Westen seine Baumwollsubventionen nicht stoppt, dann sind wir gezwungen zu gehen. Sie können 10 Meter hohe Mauern bauen, wir werden trotzdem nach Europa kommen.»
«Let’s Make Money» – Film von Erwin Wagenhofer