Nach Hooligangesetz und biometrischem Pass ist nun das neue Polizeigesetz (PolG) für den Kanton Zürich seit 1. Juli 2009 in Kraft. Das Referendumskomitee polizeigesetz.ch will jetzt die Verfassungsmässigkeit von einzelnen Punkten des neuen Polizeigesetzes vom Bundesgericht prüfen lassen. Sie sehen darin Rechtsstaat, Verfassung und Völkerrecht verletzt.
„Ich bin gegen das neue Polizeigesetz, weil es die Unschuldsvermutung untergräbt und den Geist von Guantanamo nach Zürich trägt.“
Andreas Casse, JUSO Zürich
Das Referendumskomitee, welches aus einigen Leuten der Grünen, AL, JUSO sowie den „demokratischen Juristen“ besteht, brachte die Gesetzesvorlage vor das Volk, während sie bei den grossen Parteien durchgewunken wurde. Die SP nimmt dabei eine Sonderrolle ein. Die SP in Bern beispielsweise ist gegen das Polizeigesetz, ihr Präsident Christian Levrat wurde jedoch gerade erst im Juli 2008 von der JUSO heftig kritisiert für sein Positionspapier, die Sicherheit mit mehr Repression zu erhöhen. Bei der Zürcher SP ist die Situation ebenfalls unklar. Die SP-Exponentin und Vorsteherin des Polizeidepartements Esther Maurer hat seit langem für einen Wegweisungsartikel gekämpft, wodurch sich ein Interessenskonflikt abzeichnet. Anscheinend gibt es tragende Elemente in der SP, die ihrem verkündeten Konzept nicht treu sind und mehr Repression und Überwachung als Lösung sozialer Probleme sehen. Hat sich die SP deshalb so spät gegen das Polizeigesetz ausgesprochen? Erstaunlicherweise gab es beim biometrischen Pass ähnliches zu beobachten: die SP stimmte im Bundesrat zu, hatte lange keine öffentliche Stellung bezogen und das Referendum nicht unterstützt, bis sie sich kurz vor der Wahl zum Nein bekannte. So überrascht es auch nicht, dass Indymedia berichtete, dass die SP im Kantonsrat dem Poliziegesetz ebenfalls zugestimmt hätte.
Die Grünen waren somit die einzige grössere Partei, welche die Vorlage frühzeitig ablehnte. Bedauerlicherweise wurde es zu keinem der wichtigen Themen in ihrer Agenda, weshalb auch nicht genügend Druck aufgebaut wurde, um eine öffentliche Diskussion zu bewirken. Weder durch Abstimmungsmaterial noch durch die Medien wurden die Wähler ausführlich informiert. Dies war wieder erstaunlich analog zur Abstimmung über den biometrischen Pass. Jedoch kritisierten sie den Entwurf bereits im November 2005 als „unliberal“, wobei folgende Punkte angeführt wurden:
- alle Verordnungen, Reglemente und Dienstanweisungen, welche die Arbeit der Polizei regeln, sind (im Einklang mit dem in der neuen Verfassung festgeschriebenen Öffentlichkeitsprinzip) grundsätzlich öffentlich zu machen.
- Fesselungen dürfen nur durchgeführt werden, wenn sie nicht gesundheitsgefährdend sind.
- Schusswaffengebrauch bei simplem Verdacht auf schwere Vergehen ist auszuschliessen.
- Der Wegweisungsparagraph ist grundsätzlich abzulehnen.
- Alle PolizeibeamtInnen sollen Namensschilder oder im unfriedlichen Ordnungsdienst zumindest gut sichtbare Nummern tragen.
- Die Ausweitung der Polizeiaufgaben auf «Prävention» ist abzulehnen.
- Die polizeilichen Zwangsmittel sind im Gesetz abschliessend aufzuzählen, wobei namentlich Elektroschockgeräte wie Taser und völkerrechtlich verbotene Reizstoffe auszuschliessen sind, und der Einsatz von Zwangsmitteln ist auf geeignete Weise zu dokumentieren
Umstrittene Elektroschockpistole: Genfer Polizist demonstriert Taser X26. Bild: Salvatore di Nolfi/Keystone
Ausgeweitet wurden mit der Annahme des Gesetzes Befugnisse in Sachen Schusswaffengebrauch, Videoüberwachung, Durchsuchung von Wohnungen und Autos, Identitätskontrollen, Festnahmen und Wegweisungen. Solche und weitere Bestimmungen seien weder mit der Bundesverfassung noch mit der Europäischen Menschenrechtskonvention zu vereinbaren, so das Referendumskomitee. Nachdem der Kantonsrat das Gesetz verabschiedete und das Referendum ergriffen wurde, fand die Abstimmung am 24. Februar 2008 statt. Das Gesetz wurde angenommen mit einem Ja-Stimmenanteil von durchschnittlich 75%. Dieser Erdrutschsieg für die umstrittene Vorlage war wohl vor allem der breiten Zustimmung der grossen Parteien sowie den Medien zu verdanken. Diese, wenn sie denn darüber sprachen, betonten immer wieder, dass keine einschneidenden Veränderungen vorgenommen, sondern nur bestehende Aufgaben und Kompetenzen besser geregelt würden. Weder die Parteien noch die Medien scheinen ernsthaft daran interessiert zu sein, dem Abbau von Bürgerrechten und der Ausweitung des Polizeistaats Einhalt zu gebieten. Hätten die vertrauensvollen Bürger die Gesetzestexte besser gelesen statt unkritischen Politikern und Medien zu glauben, hätten sie kaum diesem Gesetz zugestimmt.
Man muss kein Verschwörungstheoretiker sein, um zu bemerken, dass diese Gesetze nicht nur gegen besagte Verbrecher benutzt werden können. So haben wir mit dem sogenannten „Hooligan-Gesetz“ (welches eigentlich „Bundesgesetz über Massnahmen zur Wahrung der inneren Sicherheit, kurz BWIS“ heisst) gesehen, dass die verkaufte Sicherheit in Sportstadien in Wahrheit hauptsächlich ein Gesetz gegen „Gefährdung durch Terrorismus, verbotenen Nachrichtendienst, gewalttätigen Extremismus und Gewalt anlässlich Sportveranstaltungen“ darstellt. Tatsächlich bezieht sich nur einer der 4 Themenblöcke in dem Gesetz auf Sportveranstaltungen. Mindestens so interessant ist der fünfte Abschnitt, der den Schutz von Personen und Gebäuden regelt. Darin wird in Artikel 22 festgehalten, dass der Bundesrat zu ermächtigen sei, Regierungsgebäude und Mitglieder besser zu schützen und dafür sogar private Sicherheitskräfte polizeiliche Befugnisse erhalten können. In Art. 21 des vierten Abschnitts steht, dass der Bundesrat „Sicherheitsprüfungen“ mittels des Inlandgeheimdienstes DAP an Mitarbeitern der Regierung, Armee und deren Bediensteten vornehmen kann. Diese Gesetze haben nichts mit Hooliganismus zu tun, sondern mit dem Schutz der Regierung. Vor diesem Hintergrund betrachtet ist es erstaunlich, dass auch das neue Polizeigesetz entgegen den allgemeinen Behauptungen sehr tiefgreifende Veränderungen der Rechtslage für die Ausübung der Bürgerrechte bewirkt. So wird beispielsweise die Gewaltenteilung dahingehend aufgehoben, dass die Polizei zur Durchsuchung von Räumen keinen richterlichen Durchsuchungsbefehl mehr braucht, es genügt ein Verdacht. Es wurde die Gesetzesgrundlage zum flächendeckenden Einsatz von verdeckter Videoüberwachung geschaffen sowie Polizeibefugnisse erteilt und Gummiparagraphen erstellt, welche es noch schwieriger machen, Polizisten für inkorrektes Verhalten zur Rechenschaft zu ziehen. Taser, Wegweisungen und Fürsorgehaft wurden legalisiert, Rechtsschutz bei Übergriffen und Offenlegung der Dienstanweisungen wurden jedoch nicht geregelt. Amnesty International spricht daher von „Straffreiheit“ der Zürcher Polizei, da bereits beim alten Polizeigesetz Anzeigen gegen die Polizei fast immer im Sande verliefen.
Unter dem Motto „Polizisten statt Sheriffs“ kämpft das Referendumskomitee weiter und zieht mit seiner Beschwerde vors Bundesgericht, während die SP „darauf zählt“, dass die Polizeibehörden das Gesetz „verantwortungsvoll“ anwenden. Das Referendumskomitee hat den Antrag gestellt, das Gesetz nicht in Kraft treten zu lassen solange die Beschwerde läuft, worauf jedoch seitens des Bundesgerichts nicht eingegangen wurde. Das Gesetz hat damit gegenwärtig volle Gültigkeit. Doch das Referendumskomitee lässt sich nicht so leicht entmutigen: „Auch wenn wir nicht in jedem Punkt gewinnen werden, muss das Bundesgericht trotzdem versuchen alle von uns aufgeführten Mängel nach der Verfassung auszulegen, wodurch das Gesetz dann in seiner Anwendung natürlich massiv eingeschränkt wird.“
«Wir beschließen etwas, stellen das dann in den Raum und warten einige Zeit ab, was passiert. Wenn es dann kein großes Geschrei gibt und keine Aufstände, weil die meisten gar nicht begreifen, was da beschlossen wurde, dann machen wir weiter – Schritt für Schritt, bis es kein Zurück mehr gibt.»
Jean Claude Juncker, Premieminister von Luxemburg
Andrew
Quellen:
http://www.polizeigesetz.ch
Zürcher „.ch“ vom 4.7.08
http://www.stadt-wohnen.ch/archiv/anzeigen.php?id=438
http://switzerland.indymedia.org/de/2009/06/70161.shtml
http://www.gruene-zh.ch/infochannel/single-view/article////gruene-weisen-polizeigesetz-als-unliberal-zurueck/?tx_ttnews[backPid]=637&cHash=3f3f631373
http://www.ds.zh.ch/internet/ds/de/home/pg.html (Siehe PDF ab Seite 667)
http://www.admin.ch/ch/d/sr/120/index.html
Surprise 202/09, Seite 7
http://www.admin.ch/ch/d/sr/120/a22.html
http://www.admin.ch/ch/d/sr/120/a19.html
http://www.amnesty.ch/de/themen/schweiz/menschenrechte-gelten-auch-im-polizeieinsatz/unwirksame-strafverfahren
http://www.polizeigesetz.ch/media/upload/Beschwerde_Bundesgericht.pdf
http://www.nzz.ch/nachrichten/zuerich/ueberwaeltigendes_ja_zum_polizeigesetz_1.677742.html
http://www.ds.zh.ch/internet/ds/de/informationsstelle/news/news2009/143-4.html
http://wissen.spiegel.de/wissen/dokument/dokument.html?id=15317086&top=SPIEGEL