Was ist Rive Reine? Das werden sich sicherlich die meisten Menschen fragen. Rive Reine ist ein Schulungs- und Ausbildungszentrum von Nestlé und befindet sich in einem Vorort von Vevey, in La Tour-de-Peilz. Das Tagungsgebäude wurde um 1800 von der Frau des Königs von Preussen, Friedrich Wilhelm III., erbaut und nach ihrem Tod in ein Hotel umgewandelt. 1969 kaufte es der Nestlé-Konzern und nutzt es als Schulungszentrum. Seit nun über 37 Jahren trifft sich der Schweizer Geheimrat in diesem Gebäude. Auf Anfrage von We are Change bei den etablierten Schweizer Medien, wieso das Treffen anschienend keinen Journalisten – abgesehen von Bundeshauskorrespondent Viktor Parma und der ehemalige Schweizer Profi-Mountainbike-Rennfahrer Sandro Späht von der Gratiszeitung 20 Minuten – interessiert, kam, wenn überhaupt, die Antwort; „Das Treffen ist privat, die Veranstalter wünschen keine Medienpräsenz.“
Schon Wochen zuvor haben wir versucht das Datum zu verifizieren und herauszufinden wer an diesem Treffen teilnehmen wird. Auf die direkte Anfrage bei Nestlé Schweiz wurden wir an Nestlé International verwiesen, welche uns aber auch keine Auskunft über das vertrauliche Meeting geben durfte.
Der letztjährige Gast, SVP-Nationalrat Bruno Zuppiger, welcher als Präsident der Schweizerischen Gewerbeverbands eingeladen wurde und dieses Treffen als sehr fruchtbar bezeichnet hat, wurde auch 2012 als Bundesratskandidat eingeladen, wollte aber auch auf persönliche Anfrage im Bundeshaus keine Auskunft geben wann das Treffen stattfinden wird. Er werde nicht hingehen, aber trotzdem nicht verraten, an welchem Datum seine Parteikollegen auf die Topshots der Wirtschaft und Finanzwelt treffen. Der Dachverband der Schweizer Wirtschaft economiesuisse ist auch jedes Jahr mit von der Partie, hat uns aber nicht weiterhelfen können und uns an Nestlé verwiesen. Dieselbe Antwort haben wir bei der Denkfabrik avenir suisse erhalten. Auch die EMS Chemie, welche dieses Jahr mit der Chefin Magdalena Martullo-Blocher vertreten war konnte uns «nicht weiterhelfen». Auf Anfrage beim Pharmaunternehmen Roche wurde uns folgendes mitgeteilt: «Seit 2009 nimmt nicht mehr Franz Humer sondern unser CEO Severin Schwan an diesen Treffen teil. Gemäss unseren Informationen ist das ein privater Anlass, aber um sicher zu gehen, müssten Sie sich direkt bei Nestlé erkundigen.» Das Kloster Einsiedeln wollte keine vertraulichen Daten über das Privattreffen bekanntgeben.
Der Schweizerische Presserat hat auf unsere Anfrage wegen des Desinteresses der grossen Medienhäuser wie folgt geantwortet:
«Der Presserat hat sich schon mehrfach mit Beschwerden darüber befasst, die in Frage stellten, worüber die Medien zu berichten haben. In der Stellungnahme 26/2000 hat er darauf wie folgt geantwortet, das aus dem «Recht der Öffentlichkeit auf Information» nicht abzuleiten, ist, «dass eine Zeitung gezwungen wäre, alle ihr zufliessenden Informationen der Öffentlichkeit zugänglich zu machen. Jede Redaktion muss notgedrungen aus der Fülle der Nachrichten und Meinungen auswählen. In dieser Auswahl konkretisiert sich die Pressefreiheit.» Und bereits in der Stellungnahme 1/1992 hat der Presserat festgehalten, dass es im Ermessen der einzelnen Redaktionen liegt, über welche Themen und Anlässe sie berichtet und dass ein etwas eigenwillige und einseitige Gewichtung nicht a priori gegen die «Erklärung der Pflichten und Rechte der Journalistinnen und Journalisten» verstösst. In Bezug auf die Rive Reine Tagung sehe ich deshalb a priori für die Medien keine Berichterstattungspflicht. Zudem entnehme ich einem Bericht des «Tages-Anzeiger» (http://www.tagesanzeiger.ch/schweiz/standard/RiveReine-Die-geheimste-Konferenz-der-Schweiz/story/11541353) dass die fehlende Berichterstattung über die mir nicht näher bekannte Tagung offenbar auch daran liegt, dass die Konferenz selbst jegliche Publizität vermeidet und die Teilnehmer offenbar unter sich Vertraulichkeit vereinbart haben. Das wäre unter dem Aspekt des Zugangs zu Informationen unter demokratipolitischen Gesichtspunkten dann störend, wenn an diesem privaten Treffen, wichtige politische Entscheide gefällt oder zumindest vorgespurt würden. Solange es sich allerdings um eine private Veranstaltung handelt, haben die Medien keine Handhabe, einen Anspruch auf Information rechtlich durchzusetzen. Private sind gegenüber Medienschaffenden grundsätzlich nicht auskunftspflichtig. Sie entscheiden selber, ob und wie sie mit Journalisten kommunizieren.»
Die Chefredaktion der Tagesanzeigers meinte: «Wir haben im vergangenen Jahr mit einem Beitrag des Kollegen Constantin Seibt ausführlich darüber berichtet. Darauf zurückkommen wollen wir deshalb nicht, es sei denn, wir könnten im Detail darüber berichten, was 2012 besprochen wurde.» Das Ressort Wirtschaft von der Neuen Zürcher Zeitung (NZZ) – welche das Rive-Reine-Treffen Seite an Seite mit Nestlé organisieren – wollte sich nach langem hin und her trotzdem einmal mit diesem Geheimtreffen befassen ohne zu garantieren das darüber berichtet wird, verlautete der Dienstredaktor Thomas Stamm. Auch die sonst so investigative Weltwoche hat nichts über das Treffen mit der grössten Machtkonzentration innerhalb der Schweiz berichtet. Nach den Erfahrungen rund um das Bilderberg-Meeting 2011 in St. Moritz, war diese ignorante Haltung der Weltwoche keine Überraschung mehr.
Doch sind es in einer Demokratie nicht genau solche Treffen, welche die Medien beleuchten müssten? Die vierte Gewalt des Staates schliesst für einen Tag ihre Augen. Wenn sich Ex-Nationalbankchefs mit Parteipräsidenten, Top-Wirtschafts-CEOs und Bundesräten hinter verschlossenen Türen treffen, muss darüber berichtet werden.
So übernahm We are Change diese Aufgabe und fuhr nach Vevey. In eisiger Kälte, aber bei schönem Wetter, traf man auf die Top Shots der Schweizer Wirtschafts- und Politikwelt. Den Journalistenkollegen werden wir wieder beim WEF begegnen, dieses Treffen wird ja gnädigerweise publik gemacht.
Folgend einige Namen:
Hansjörg Walter (SVP, Nationalratspräsident)
Caspar Baader (Nationalrat & Frationschef SVP)
Toni Brunner (SVP Parteipräsident)
Fulvio Pelli (FDP-Nationalrat)
André Blattmann (Chef der Armee)
Markus Spillmann (NZZ, Bilderberger)
Gerold Bührer (FDP, Präsident des Wirtschaftsverbands Economiesuisse, Mitglied des Bankrats der Schweizerischen Nationalbank)
Christophe Darbellay (Präsident CVP, Nestlé Waters/ Präsident IG Mineralwasser)
Urs Schwaller (Präsident CVP/EVP/glp-Fraktion)
Rolf Schweiger (Bilderberg-Teilnehmer 2011, FDP, Präsident der Föderation der Schweizerischen Nahrungsmittel-Industrien)
Magdalena Martullo-Blocher (CEO EMS Chemie)
Severin Schwan (CEO Roche)
Jean-Pierre Roth (Ex-Präsident Schweizerische Nationalbank, Gastgeber)
Um den Machteinfluss der Rive-Reine Teilnehmer auf einen Schweizer Bürger sichtbar zu machen, wurde folgendes Diagramm zusammengestellt. Es enthält einige Teilnehmer früherer Rive-Reine Konferenzen und zeigt anhand von Linen auf, welche Mandate bei welchen Institutionen sie besitzen, oder wo sie ihre Finger im Spiel haben. Es wurden längst nicht alle Teilnehmer und nicht alle Mandate berücksichtigt, da das Diagramm sonst zu unübersichtlich wurde.
Es soll aufzeigen, welchen Einfluss die Teilnehmer auf den Alltag eines Schweizer Bürgers haben.