In den letzten Monaten der sogenannten Durchsetzung der Flugverbotszone ist einer breiteren Öffentlichkeit bewusst geworden, dass die NATO in Libyen nicht die allgemeine Bevölkerung unterstützt, sondern eine Minderheit von islamistischen Extremisten, angeführt von Vertretern der Al Kaida und angegliederten Organisationen wie den Mudjaheddin
Die Zahl der Rebellen nimmt kontinuierlich ab, während vielen der Aufständischen bewusst wird, dass die NATO nicht vor der Bombardierung der Zivilbevölkerung zurückschreckt und, wie im Fall eines Radiosenders letzte Woche, sogar gezielt Angriffe auf zivile Einrichtungen fliegt, die Bestimmungen der UN-Resolution 1973 nicht einhält, und im Übrigen das internationale Recht missachtet. Laut Zeit online sei der Schutz der Zivilbevölkerung schon nach wenigen Tagen der Angriffe gewährleistet gewesen.
Von 6 Millionen Einwohnern verteidigen 5 Millionen den, wohlgemerkt fragwürdigen, Machthaber Gaddafi. Dieser vertritt seit 40 Jahren mehr oder weniger die gleiche Politik und stand damit bis vor wenigen Jahren auf gutem Fuss mit westlichen Regierungen und Geschäftsinteressen, ohne dass diese ein Demokratiedefizit des reformbedürftigen Libyen anklagten.
Rebellen gegen Rebellen
Der Sprechers der Libyschen Regierung, Dr. Moussa Ibrahim, fragte an einer Pressekonferenz von letzter Woche, wie es möglich sei, dass die überwiegende Mehrheit der Bevölkerung trotz massiver Unterstützung der gesamten westlichen Welt immer noch nicht gegen den Diktator aufbegehrt. Die Frage scheint berechtigt.
Die Libyschen Rebellen werden von den westlichen Medien aus unerklärlichen Gründen regelmässig als «Revolutionäre» bezeichnet. Das Gegenteil ist jedoch der Fall: Die wichtigsten Figuren der Revolutionsführer sind Monarchisten, die dem Haribi Clan- Verbund angehören; sie sind Anhänger des in der 1969 durch Gaddafi gestürzten Königs Idris und damit Konterrevolutionäre, die gegen die Öffnung des Landes gegen Westen und für die Durchsetzung von Islamischem Recht kämpfen. (Hier abgebildet die vom Übergangsrat verwendete Flagge. Es ist die des Königreichs Libyen)
Der obskure Nationale Übergangsrat wurde nach Portugal, Frankreich, Großbritannien und kürzlich auch von den USA sowie einem Dutzend weiterer Staaten als legitime Regierung Libyens und einzigen Ansprechpartner anerkannt. Bemerkenswert ist nicht nur, dass die Namen von ca. 2 Dritteln der 31 Vertreter geheim bleiben, was nicht mit dem westlichen Verständnis von Demokratie vereinbar ist, sondern auch, dass die bisher veröffentlichen Personen fast ausschliesslich aus dem Osten Libyens stammen, vorwiegend aus dem Benghasi-, Tobruk-, und Darnah-Dreieck. Dies ist übrigens die Gegend, die vom US- Aussenministerium und Armeeakademien bis kurz vor Beginn des Krieges als Brutstätte für anti-amerikanische Terroristen bezeichnet wurde.
Abdul-Fattah Younis, der bisherige Oberbefehlshaber des Übergangsrates, und zwei seiner Vertrauten wurden am Donnerstag auf dem Weg in die Rebellenhochburg Benghazi erschossen. Er war einer der wenigen Mitglieder der Rates, die aus dem Gaddafi Regime zu den Rebellen übergewechselt hatten, und wurde dadurch von den westlichen Invasoren als Hoffnungsträger für die Absetzung Gaddafis gehandelt. Gemäss Associated Press wurde das Attentat von der «Märtyerbrigade 17. Februar» ausgeführt, einer Gruppe mit Kämpfern der Libyschen Islamischen Kampfgruppe (LIFG) an ihrer Spitze. Dies ist eine Al Kaida- Splittergruppe. Die LIFG (Al-Jama’a al-Islamiyyah al-Muqatilah bi-Libya) wurde mit Hilfe libyscher Mudschaheddin-Veteranen des sowjetisch-afghanischen Krieges mit Unterstützung der CIA aufgebaut.
Die Rebellen weisen eine grosse innere Unordnung und Zerstrittenheit auf. Sie teilten sich bisher in zwei verfeindete Lager auf: die Anhänger des ermordeten Oberbefehlshabers Youndis und die von General Khalifa Hifter. «Die Verbindungen Hifters zur CIA reichten bis zum Jahr 1987 zurück, als er noch Oberst in Gaddafis Armee war und bei Kämpfen gegen die von den USA unterstützte Regierung Hissène Habrés gefangen genommen wurde. Hifter lief zur Libyschen Nationalen Heilsfront (LNSF), der wichtigsten Oppositionsgruppe gegen Gaddafi, über, die von der CIA unterstützt wurde». Kommandeur Hifter neigt zur Unterstützung der islamischen Fraktion der Rebellion, zu der auch Mitglieder der Libyschen Islamischen Kampfgruppe (LIFG) gehören.
Bombardierung von Fernsehsender
Seit 4 Monaten werden in Libyen vor vorwiegend Zivilisten getötet, dies zur Mehrheit aus der Luft. Eigenartigerweise entspricht dies genau dem, was die NATO Aggressoren mit der Intervention zu verhindern versuchen. Dies kritisiert auch Amnesty International. Berichte über Angriffe auf die Zivilbevölkerung häufen sich seit Beginn der Invasion am 19. März. Nach den anfänglichen Beteuerungen von Versehen und Missgeschicken bei der Bombardierung von Wohnhäusern und Drohnenangriffen auf Fischerboote häuften sich die Erklärungen der Westmächte, warum gerade zivile Einrichtungen angegriffen werden müssen.
Der Angriff mit Präzisionsmunition habe sich gegen drei Fernsehübertragungsstationen in der libyschen Hauptstadt Tripolis gerichtet, teilte Nato-Sprecher Roland Lavoie am Samstag in Brüssel mit. Das Bündnis habe damit die Absicht verfolgt, „Gaddafis Nutzung von Satellitenfernsehen als Mittel zur Einschüchterung des libyschen Volkes und zur Anstachelung zur Gewalt gegen sie zu schwächen“. Derzeit werde das Ausmaß der Schäden an den Übertragungsanlagen geprüft. Das Vorgehen verstösst gegen internationales Recht, gegen die Genfer Konvention, die Informationsfreiheit und gegen gesundes Rechtsverständnis.
Gestern verkündete die NATO, dass die Bombardierung von zivilen Einrichtungen fortan zur Routine werden wird, mit der Erklärung: „Die Gaddafi-Truppen besetzen zunehmend Einrichtungen, die einst zivilen Zwecken dienten“, sagte der Militärsprecher des Nato-Einsatzes in Libyen, der kanadische Oberst Roland Lavoie, am Dienstag. Dabei handle es sich um frühere Ställe, landwirtschaftliche Einrichtungen, Lagerhäuser, Fabriken und Produktionsanlagen für Lebensmittel. „Indem es diese Einrichtungen besetzt und missbraucht hat, hat das Regime sie zu militärischen Anlagen gemacht, von denen aus es Angriffe führt und leitete“, sagte Lavoie am Dienstag in einer ins Nato-Hauptquartier in Brüssel übertragenen Video-Pressekonferenz.
Dabei sind wir natürlich auf des Ehrenwort der NATO- Kommandanten angewiesen, dass sich in den zivilen Einrichtungen wirklich feindliche Streitkräfte befunden hatten.
NATO-Koalition am Ende?
Die Ermordung von Younis bedeutet ein harter Rückschlag für die NATO, die Zerstrittenheit innerhalb der Rebellenführung kann nicht mehr vertuscht werden. Die Resolution 1973 muss Mitte September durch eine neue Resolution ersetzt werden. Der russische Ministerpräsident Wladimir Putin bezeichnete im März die Resolution 1973 in einer persönlichen Stellungnahme als unvollwertig und schädlich und verglich sie mit einer Aufforderung zum Kreuzzug. Sie gestatte allen, alles zu unternehmen, alle Maßnahmen gegen einen souveränen Staat. Der russische Staatspräsident Dmitri Medwedew wies den Vergleich mit dem Kreuzzug zurück. Die Wortwahl fördere den „Kampf der Zivilisationen“. Somit ist damit zu rechnen, dass Russland die folgende Resolution mit einem Veto im UNO- Sicherheitsrat blockieren wird.
In den USA nimmt der Druck gegen den verfassungswidrigen Krieg zu. Obama, der seines Erachtens nur der UNO und nicht der USA Rechenschaft schuldig ist, bekundete seinerseits, «er brauche auf die Verfassungsfrage gar nicht einzugehen:» Das Repräsentantenhaus in Washington verweigerte Mitte Juni in einem klaren Votum die Zustimmung für eine Resolution, die den von US-Präsident Barack Obama angeordneten Kampf der amerikanischen Streitkräfte gegen das Regime Gaddafis für ein Jahr ausdrücklich genehmigt hätte. Insgesamt fiel die Abstimmung mit 123 zu 295 aus. Anne-Marie Slaughter, bis Anfang 2011 noch Direktorin des Büros für Politische Planung des Innenministeriums, sprach sich im Februar noch für die Invasion aus: «Die Internationale Gemeinschaft kann nicht dastehen und zuschauen, wie das Massaker an der Libyschen Bevölkerung vorangeht. In Ruanda haben wir zugeschaut. In Kosovo haben wir gehandelt.» Nun gibt sie in der Financial TImes zu bedenken, die Zeit für einen «Kompromiss» sei gekommen.
Norwegen ist zwei Tage vor dem angekündigten Termin vom 1. August aus dem Abenteuer Libyenkrieg ausgestiegen, und führt damit die kleineren NATO -Staaten in ihrem Widerstreben gegen die Kriegstreiber Frankreich, Großbritannien und USA an. Diese befürchten nun, dass andere kleinere NATO- Länder dem Beispiel Norwegens folgen werden, wie zum Beispiel die Holländer, die keine Luftangriffe mehr fliegen wollen.
In Italien, das Anfang März von Ex- Ministerpräsident Prodi als Libyens wichtigster Handelspartner bezeichnet wurde, werden Stimmen des Unmuts gegen die Invasion lauter. Berlusconi spricht von einer bedauerlichen Fehlentscheidung, während er wegen der Rache Gaddafi’s um sein Leben bangt.
Die Frage drängt sich auf, mit welchen Mitteln nun die kriegstreibenden Staaten Mitte September eine neue Resolution für eine Bodeninvasion in Libyen durchsetzen wollen. Die Bodeninvasion ist die einzige Möglichkeit, die gegenwärtige «Patt-Situation» an der Front zu beenden, die langfristig nur mit einer Teilung des Landes stabilisiert werden könnte. Den Kriegstreibenden Parteien bleibt nichts anderes als zu hoffen, dass ein echter oder gestellter Terroranschlag in Europa oder Amerika stattfindet, der den Verbündeten von Gaddafi zugeschrieben werden kann, und somit die Bevölkerung von der Legitimität des Krieges zu überzeugen. Historisch betrachtet wäre es nicht verwunderlich, wenn die NATO-Führung selber eine Fraktion ihres offiziell nicht mehr existenten «Stay Behind» Netzwerkes reaktivieren würde, um eine solche Katastrophe herbeizuführen. Die Existenz der NATO- Geheimarmeen in Europa unter Namen wie GLADIO, ROC etc. und die von ihnen ausgehende verdeckte Kriegsführung und der inszenierte Staatsterror gegen die eigene Bevölkerung, speziell in Italien, wurde in den frühen 1990er aufgedeckt.
Sash