Hintergrund: Ich selbst besitze ein Facebook-Konto. Facebook fragte mich vor einiger Zeit nach einem Feedback. Dieses habe ich ihm gegeben.
«Ich hoffe Du nimmst Dir ein wenig Zeit und liest mein Feedback genau durch. Ich habe mir auch Zeit genommen, obwohl ich sie kaum habe. Facebook hat in unserer Gesellschaft einen ähnlichen Status erreicht wie Handy oder TV. Kurz, es ist kaum mehr wegzudenken. Ich gratuliere Dir hiermit zu Deinem unternehmerischen Erfolg. Du übst hier ohne Zweifel grosse Macht auf meine Generation, aber auch auf andere, aus. Auf grosse Macht folgt grosse Verantwortung. Bist Du Dir dessen bewusst? Ich hoffe es.
Als grosses Unternehmen weisst Du, dass wir, die Menschen auf der Welt die Dich nutzen, Deine Ware sind. Du bringst uns dazu, uns zu verbessern, bessere Ware zu werden, indem Du uns darauf aufmerksam machst, dass wir noch nicht eingetragen haben was wir arbeiten, welchen Schulabschluss wir haben, wo das wir wohnen, was unsere Lieblingsband ist oder welche Marken wir gut finden. Für uns ist das selbstverständlich, wir geben solche Sachen gerne an, da ein leeres Kästchen irgendwie blöd aussieht. Wir wollen uns auch präsentieren, unseren Freunden gegenüber, wir gestalten unser Profil so wie wir es für richtig halten. Jeder individuell.
Deine Kunden verlangen dies von Dir. Wir sind nicht Deine Kunden, hab ich Recht? Sie wollen möglichst detaillierte Informationen über uns, damit Sie uns Ihre Ware besser anbieten können. Damit werden wir zu Kunden. Wir erhalten das, was wir wollen, Deine Kunden erhalten das, was sie wollen und Du erhältst auch das, was Du willst. Profit, Gewinn, Umsatz. So läuft das doch? Eine Win Win Win Situation. Der wunderbare Kreislauf der Wirtschaft. Ich meine das sarkastisch, verstehst Du?
Bitte verstehe mich nicht falsch. Ich will die Wirtschaft nicht ändern, ich möchte Dir nur meine Sicht erklären, so wie ich Facebook sehe.
Ich kam, wenn es mir recht ist, im November 2008 zu Dir. Jeder sprach von Dir, das sei der neuste Schrei, log dich ein, ich füge dich dann als Freund dazu. Es gibt eine gute South Park folge über Dich, sehr interessant, solltest Du Dir mal anschauen. Ich mag mich gar nicht mehr an die alte Zeit erinnern, denn wenn ich heute etwas vergesse, schaue ich einfach bei Dir nach. Aja stimmt, das war schön.
Früher, ja früher hat man sich getroffen um Fussball zu spielen, weisst Du, ich spiele gerne Fussball. Oder man traf sich um ein Bier zu trinken, zu plaudern, zu diskutieren, miteinander, von Angesicht zu Angesicht. Wenn man sich heute trifft, hat jeder ein Smartphone, auf das er schaut, sobald drei Sekunden stille herrscht. Das passiert noch sehr schnell, liebes Facebook, da jetzt jeder alles bei Dir uploaden kann, weiss automatisch jeder über alles Bescheid und es gibt nichts mehr zu erzählen. Schade nicht?
Nicht nur schade, sondern es schadet. Wenn der soziale Kontakt, ich spreche hier vom Kontakt Mensch zu Mensch, verloren geht, dann zerfällt auch unsere Gesellschaft. Wir als Generation 2.0, als Generation von Dir, Google, Twitter, Yahoo und co. sollten uns wieder zurück besinnen, an das menschliche, an das, was wir früher einmal waren.
Lass mich ein wenig ausschweifen, aber ich verspreche Dir, ich halte mich kurz.
Wir werden zu Konsumenten, alles um uns herum sagt uns, wir brauchen immer den neusten Fernseher, den neusten PC, ein neues Smartphone. Wir müssen uns informieren, jeden Tag, damit wir wissen was alles schreckliches auf der Welt passiert, damit wir wissen, was wir anziehen sollen, damit wir wissen, wie wir uns verhalten müssen, damit wir wissen, was gut ist und was schlecht. Wir werden gesteuert. Warum werden wir gesteuert? Damit wir kaufen, wir müssen kaufen, wir müssen kaufen, wir müssen es einfach. Denn das hält das momentane Wirtschaftssystem am Leben. Es braucht solche Leute, sonst bricht das System zusammen. Kaufen, benutzen, verbrauchen, wegschmeissen, kaufen.
Wir sind keine Menschen mehr, wir sind eine Ware. Wir produzieren Umsatz, verbrauchen dazu Ware. Findest Du das in Ordnung Facebook? Natürlich findest Du das okay, du bist ein Unternehmen. Doch was ist mit den Menschen, die Dich am Leben halten. Mit dem Menschen, der das hier gerade liest, wenn er nicht schon aufgehört hat, weil er keine Zeit dazu hat? Findet er das in Ordnung? Ich hoffe es steckt noch ein wenig Mensch in ihm, damit er begreift, was Du machst liebes Facebook.
Also, hier mein Feedback:
– Hör auf die Profile andauernd zu ändern, belass eine Grafik mal wie sie ist, am besten nimm eine von den Älteren, bei denen man noch mehr sah!
– Selektier nicht meine Freunde! Zeig mir alle an, egal ob ich sie gut kenne oder nicht!
– Gib meine Daten nicht an andere Unternehmen oder sonstige Institutionen weiter! Es geht nur mich und meine Freunde an, wo ich war, was ich esse, was ich gut finde und was nicht! Wenn sie das wissen wollen sollen sie mich bitte direkt fragen!
– Zensiere nicht, wir sollten doch in einer Demokratie leben?!
– Ändere Deine Nutzungsbestimmungen nicht immer, und wenn doch, dann so damit sie jeder versteht und in angemessener Zeit auch durchgelesen hat! Heute findet man sie kaum!
– Behandle uns nicht wie Ware, sondern wie Kunden. Noch besser, behandle uns wie Menschen! Denn genau das sind wir!
– Sei ein stiller Anbieter und mach das was wir wollen!
– Hör auf uns zu beeinflussen!
Bedenke immer, das hat unser kapitalistisches System so an sich, vorausgesetzt der Staat rettet Dich nicht, dass es immer wieder neuere und bessere Unternehmen geben kann und wird, die Dich besiegen können. Das ist der Kreislauf des wirtschaftlichen Lebens. Die Marktwirtschaft wird bald einen anderen Anbieter finden, der besser ist als Du. Denn Du bist schon träge und alt. Finde zurück zu Deiner alten Stärke. Werde Menschenfreundlich.
Danke für Deine Aufmerksamkeit. Ich freue mich auf Deine Antwort.»